Samstag, 28. Mai 2011

Meine Zeit in Sucre geht zu Ende

Nun bin ich seit 4 1/2 Monaten in Sucre, hier fühle ich mich zu Hause.

Das Bauprojekt "Guarderia Alegria" ist weit fortgeschritten. Das Dach ist fertig, nun folgt der Innenausbau. Karen Hochmann kommt morgen zurück aus Deutschland, somit kann ich die Verantwortung zurückgeben und weiterziehen. Es war eine spannende und lehrreiche Zeit, da ich meine Nerven ja an der Grenze abgegeben habe konnten sie auch nicht strapaziert werden. Seit längerer Zeit wurde der Betrieb im ersten Raum aufgenommen, wenn ich täglich die Kinder besuche ertönt ein lautes "Hola", die Kinder rennen auf mich zu, wollen über den Kopf gestreichel werden, schmiegen sich an mich - diese Erinnerungen werde ich mitnehmen- wie auch sonst viele bereichernde Momente in diesem Land, das so ganz anders ist. Ob es eine Zukunft hat, das ist eine andere Frage.
Das Dach ist fertig! Zum Dank gibts Chicha.
Mein privates Projekt, der Umbau bei Litzy, ist in der Endphase. Es wurde aufwändiger als geplant, über das Ergebnis freue ich mich. Litzy und ihre Tochter Yessenia haben nun je ein eigenes Schlafzimmer und einen Wohnraum, die Schwester Patricia eine eigene Küche. Somit haben die beiden Familien den eigenen Lebensbereich.

Ich freue mich im August Sucre auf meiner Weiterreise nochmals zu besuchen und denke, dass die Guarderia dann fertig ist und der vollständige Betrieb aufgenommen werden konnte.

Mit meiner Twin habe ich viele Kilometer gemacht und mich in den Verkehr in Sucre eingelebt. Einmal war es knapp:
 Wir haben ein neues Ausflugsziel besucht und geniessen die Rückfahrt durch die unberührte Natur auf schönster „Naturstrasse“. Es beginnt einzudunkeln, die Hauptstrasse ist nicht mehr weit, die Konzentration durch die lange Fahrt nicht mehr 100% - und plötzlich sehe ich kurz vor mir einen tiefen Strassengraben, der quer über die Strasse läuft. Wie ich diesen ohne Sturz überqueren konnte, das ist mir nicht klar, aber ich habe es geschafft. Bremsen reichte nicht mehr, anscheinend habe ich Gas gegeben. Ein Sturz an dieser Stelle hätte böse geendet. Einen Moment nicht aufgepasst, Signalisationen gibt es keine, manchmal zeigen Steine auf der Strasse eine Baustelle an, aber hier habe ich wirklich nichts gesehen.

Somit benutze ich die Gelegenheit etwas über den Strassenverkehr in Sucre, der Hauptstadt Boliviens, zu erzählen
.
In Bolivien ist eigentlich alles klar geregelt. Zum Beispiel besteht absolute Helmpflicht, d.h. ein Helm pro Motorrad. Ob der Helm am Arm getragen wird, der Fahrer, der Beifahrer oder eines der beiden Kinder ihn trägt ist nicht so wichtig. Mehr als vier Personen sieht man kaum auf einem Motorrad, als letzthin drei Polizisten (der Fahrer trug den Helm) an mir vorbeifuhren flippte der Fahrer  vor mir an der Kreuzung aus, nach lautem Protest ging einer dann zu Fuss weiter. Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Polizeioffiziere mit steifen Mützen können logischerweise keinen Helm tragen, wie sollen sie die Mütze sonst transportieren?

Der Verkehr fliesst sehr träge, erstens liegt dies an der Höhe von 2‘500 m.ü.M, zweitens an der Hügellandschaft von Sucre, kaum eine Strasse ist eben. Drittens am Sprit mit kaum mehr als 80 Oktan, viertens an den vorwiegend eher älteren Fahrzeugen. Eigentlich sehe ich hier fast alle von mir gefahren Fahrzeuge. Der VW-Käfer war 1970 mein erstes Auto, 1973 fuhr ich den ersten neuen VW, den Variant. In Griechenland habe ich einen 25-jährigen Toyota Tercel, der ist hier häufig anzutreffen. Der Toyota Corolla ist das häufigste Taxifahrzeug, der Celica ist eher die Ausnahme, auch Carina und Camry sieht man hier, aber diese heissen anders.  etc. etc. Toyota und Nissan sind die häufigsten Autos. Da der Zustand der Fahrzeuge so „hervorragend“ ist muss nun die technische Fahrzeugkontrolle nur noch einmal jährlich besucht werden. Der Kleber an der Windschutzscheibe wird auch kontrolliert. Falls man mit dem Auto zur Prüfung fährt kostet es 30 Bolis, ohne Fahrzeug 60 Bolis. Ich denke dass die Meisten ohne Auto vorbeigehen. Was kontrolliert wird weiss ich nicht, voraussichtlich der Blinker, der wird eigentlich nie benötigt. Wobei das nicht ganz stimmt, der Blinker ist ja Teil der Warnblinkanlage. Das schlimmste Vergehen ist das Anhalten, ohne die Warnblinkanlage einzuschalten, dies wird auch gebüsst. Absolute Priorität geniesst der mutierende Fussgänger. Sobald ein Fussgänger sich entscheidet  Fahrgast zu werden und dies einem Taxi oder Micro (Minibus) signalisiert, hält dieser an. Ob es bei Grün vor der Kreuzung, mitten auf der Kreuzung oder wo auch immer ist, es wird angehalten. Ich habe sogar bestimmt drei Mal gesehen, dass einer an den rechten Rand gefahren ist! Rechts ist eigentlich immer Platz, da alle möglichst weit links fahren, so kann man mit dem Motorrad meist rechts problemlos überholen, auch die stehenden Kolonnen (davon träumt man ja in der Schweiz schon lange). Wenn der Verkehr mit maximal 40 Stundenkilometern durch die Stadt rauscht passen alle sehr gut auf, ich habe bis jetzt keine Unfälle gesehen. Das Vortrittsrecht scheint klar, wer bergauffährt hat Vortritt. Bei den Kreiseln ist es mir noch nicht ganz klar. Die Hupe wird eigentlich nur benützt um zu signalisieren, dass man auf eine Kreuzung zu fährt, dies auch nachts. Das macht auch insofern Sinn, da jeder Strom spart. Also wird das Licht von vielen, falls überhaupt, erst eingeschaltet, wenn es schon dunkel ist. Da aber eine Lampe logischerweise weniger Strom verbraucht als zwei, genügt eigentlich eine. Und wenn man nahe genug ist sieht jeder, dass es kein Motorrad ist  Neuerdings gibt es sogar Fahrschulen, resp. entsprechend angeschrieben Autos. Eigentlich wird der Fahrausweis nur beim Verlassen der Städte an den Ausfallstrassen kontrolliert, so können meine Bekannten nie selber aus der Stadt fahren.  Das Selbe gilt auch für die Fahrzeuge, die sollten nicht nur den Kleber an der Windschutzscheibe, sondern auch Zulassungspapiere haben. Und alle die geschmuggelten Autos, welche an den bekannten Märkten verkauft werden, haben leider keine. Evo Morales hat beschlossen, dass nur noch Autos importiert werden dürfen, welche jünger als fünf Jahre sind – und mit irgendetwas müssen die Bolivianer ja fahren. In Chile in der Atacamawüste an der Grenze zu Bolivien habe ich Autotransporter gesehen, welche Occasionsautos abgeladen haben und wie diese dann Richtung Bolivien  verschwunden sind. Da viele Autos aus Japan importiert werden, müssen diese auf Lenkung links abgeändert werden. Das Steuerrad und die Pedale werden umgebaut, im Taxi sitzt man dann vor dem Geschwindigkeitszähler. Es gibt auch Polizeikontrollen, z.B. verbotene Fahrrichtung. Eindringlich wird man aufgefordert umzudrehen, das gilt sogar für Motorräder! Bei Gurtenkontrollen wird jedem Fahrer gedeutet, dass er die Gurten anziehen soll. Beides habe ich einmal erlebt – aber gebüsst wird nicht! Bolivien ist sehr traditionsbewusst, daher fahren alle Microlinien durch den Mercado Campesino, das Herzstück von Sucre. Wobei fahren etwas übertrieben ist, sie stehen vorwiegend, da es viele Linien hat und wenig Platz. Der Gestank ist entsprechend, da die Micros deutlich an den Rauch- und Russwolken zu erkennen sind, aber nicht nur diese. So alle zwei Jahre wird für viel Geld von Ausländern ein neues Verkehrskonzept erarbeitet, aber dieses verschwinden dann in einer Schublade. So macht es Sinn, falls man einmal ein Micro nimmt, vor dem Mercado auszusteigen, diesen zu Fuss zu durchqueren, und dann wieder ein Micro zu besteigen. Mit dem Taxi, falls es einmal regnet, benötige ich ca. 15 Minuten zu meiner Arbeitsstelle, mit dem Micro eine knappe Stunde. Aber Zeit gibt es in Bolivien ja genügend! Als letzthin die Micros einige Tage streikten war es im Campesino ein Vergnügen, fast frische Luft und ein recht gutes Durchkommen. Nur die Leute, welche alle zu Fuss gehen mussten, die taten mir leid, ein Taxi können sich hier viele nicht leisten, auch wenn es in der Stadt nur 4 Bolis = SFr. -.50 kostet. Bei den Autos ist die Anzahl Fahrgäste klar definiert, wenn es keinen Platz mehr hat, dann ist es voll. Letzthin war ich mit Bekannten übers Wochenende in einem Camp, auf dem begleitenden Pickup waren 12 Personen, man kann ja auch stehen. Da es wenig Überlandbusse hat wird ein Lastwagen angehalten – auch dort hat es Platz solange es Platz hat.

Die Strassen sind oft recht gut, manchmal sind die Strassenschwellen sogar gelb bemalt und somit sichtbar, aber mit 60 schluckt die Twin diese noch locker. Wobei auch die teils recht guten Strassen Schlaglöcher aufweisen, wobei man dies sofort merkt, oder der Schwenker des vorausfahrenden Fahrzeuges warnt. Rückspiegel scheint es nicht zu geben, da jeder dort abbiegt wo es ideal ist, die anderen passen ja auf. 

Dies sind einige Gedanken zum Verkehrt in Sucre, wobei ich das absolute Privileg geniesse über eine „Rennmaschine“ zu verfügen, meine Africa Twin ist hier klar Spitzenreiter. Wobei die Polizei in den letzten zwei Jahren aufgeholt hat, viele 150 er wurden durch Kawas 650 ersetzt. In Punkto Lärm ist eigentlich jeder besser als ich, denn fehlende Leistung kann am besten durch Auspufflärm kompensiert werden. Dummerweise reagieren die Alarmanlagen auf diesen Lärm, so dass immer irgendwo eine Anlage losheult.
Zur Polizei habe ich ein gutes Verhältnis, man wird sogleich in Gespräche verwickelt, speziell unter Motorradfahrern. Und die Polizistin, welche für meinen Visaantrag meine Wohnung besichtigen musste, hat richtig gestrahlt, als ich sie fragte, ob sie mit mir mitfahren wolle. Ob es an mir oder der Twin lag, das habe ich nicht herausgefunden ;-))
Zu erwähnen ist natürlich, dass die Strasse auch Lebensraum ist. Ob Hühner, Schweine, Hunde, Ziegen, Schafe etc. etc. alles tummelt sich auf der Strasse. Mühsam sind oft die Hunde, der Ton meiner Twin löst Aggressionen aus, nur einer versuchte zuzubeissen, aber ich hatte die Lederschuhe an. Aber sechs Hunde gleichzeitig, vorne, hinten, links und rechts, das lässt den Adrealinspiegel steigen.
Wie du siehst gibt es eigentlich nur Positives zu berichten, ich könnte mir sogar vorstellen hier länger zu leben – und herrliche Motorradziele gibt es genügend! Bolivien ist auf jeden Fall eine Motorradreise wert – und diese muss ja nicht unbedingt während der Regenzeit sein! Ach ja, der Benzinpreis liegt bei etwa 50 Rappen.
Diese Betrachtung gilt nur für Sucre, Santa Cruz und La Paz werde ich erst im Herbst besuchen – und dort soll es anders zugehen.